Interview zum Schlachthof-Praktikum

Schlachthof
Arbeiter im Schlachthof © industrieblick – Fotolia

Christina (Name geändert) musste im Rahmen ihres Studiums ein dreiwöchiges Pflichtpraktikum in einem deutschen Schlachthof absolvieren. Was sie dabei erleben musste, hat sie uns in einem Interview berichtet.

Christina, du hast ein Praktikum in einem Schlachthof absolviert. Kannst du kurz schildern wie du dazu gekommen bist?

Ich studiere Tiermedizin, und in Deutschland ist es Pflicht, dass jeder, der Tiermedizin studiert, mindestens 100 Stunden in einem Schlachthof verbringt. Es muss nicht in Deutschland sein, aber innerhalb der EU, und man kommt nicht darum herum.

Was waren deine Aufgaben und welche Stationen hast du durchlaufen? Was ist dir besonders in Erinnerung geblieben?

Ich habe alle Stationen durchlaufen und den kompletten Schlachthof gesehen: die Ankunft der Tiere, wie sie abgeladen werden, wie die Tiere betäubt und getötet werden, vom Ausbluten übers Zerlegen, wie sie hinterher ins Kühlhaus wandern und abgepackt werden. Ich habe auch gesehen, was mit den Sachen passiert, die nicht für den menschlichen Verzehr bestimmt sind, zum Beispiel die Rinder- und Schweinelungen, die dann zu Hundefutter verarbeitet werden.

Wie wird entschieden, was für den menschlichen Verzehr geeignet ist und was nicht?

Grundsätzlich haben die Arbeiter im Schlachthof sehr wenig Zeit, sich einen Überblick zu verschaffen, ob ein Organ noch OK ist. Es sind etwa 20 Sekunden, in denen sie entscheiden müssen, was für den menschlichen Verzehr ungeeignet ist. Ob zum Beispiel Blut in der Lunge ist, weil die Tiere nochmal einen tiefen Atemzug gemacht haben, während sie ausbluteten, oder ob sie eine Lungenentzündung oder eine Herzbeutelentzündung haben. Diese Sachen werden abgeschnitten und landen in der Tonne, die noch zu Tierfutter weiterverarbeitet wird. Ich habe kaum Organe gesehen, die nicht krankhaft verändert waren.

Du hast auch am Band direkt an den Tierkörpern gearbeitet. Welchen Eindruck hattest du vom gesundheitlichen Zustand der Tiere, die dort verarbeitet wurden?

Dafür, dass die meisten Tiere, besonders die Schweine, nicht viel älter als 10 Monate waren, waren die Tiere in sehr schlechter gesundheitlicher Verfassung. Bei vielen waren die Lungen durch Entzündungen verändert, teilweise richtig verfärbt. Viele Lungen waren mit Blut gefüllt, fast alle Lungen hatten Abszesse. Fast alle Lebern hatten Parasiten und wurden weggeschmissen. Häufig waren auch Veränderungen am Herz zu sehen, insgesamt musste sehr viel aussortiert werden. Die Tierkörper wiesen auffällig viele Verletzungen auf, Abszesse, dicke Gelenke, Finnen, Bisswunden und Verletzungen von Schlägen.

Was sind Finnen und was passiert mit dem infizierten Fleisch?

Finnen sind Parasiten, die sich hauptsächlich bei Rindern finden, und die sich an Muskeln anlagern und verkapseln. Der Mensch kann sich durch den Konsum von infiziertem Fleisch anstecken. Die Erkrankung ist sehr gefährlich für den Menschen, weil die Parasiten im Körper umherwandern und sich an Organen anlagern können. Wenn Finnen bei Rindern gefunden wurden, blieb dem jeweiligen Tierarzt die Entscheidung allein überlassen, ob er das Fleisch trotzdem für den menschlichen Verzehr freigibt. Es existieren keine verbindlichen Richtlinien, ab wann sozusagen zu viele Finnen im Fleisch vorhanden sind. Infiziertes Fleisch wird »brauchbar« gemacht, indem es für eine bestimmte Zeit tiefgefroren wird. Danach wird es ganz normal verkauft.

Wann wurde ein Tier aussortiert? Was passierte mit ihm?

Nur sehr wenige Tiere wurden tatsächlich aussortiert. Dazu zählten Tiere, die sich gar nicht mehr bewegen konnten. Ein Schwein, das ich gesehen habe, hatte Fieber, und wurde von der Amtstierärztin aussortiert. Was bedeutet, dass es mitten im Stall erschossen wurde, und dort auch noch mehrere Stunden liegen blieb, während die anderen Tiere daran vorbei laufen mussten. Bei den Rindern habe ich überhaupt nicht erlebt, dass ein Tier aussortiert wurde.

Welche Aufgaben hatten die Amtstierärzte?

Eigentlich haben die Amtstierärzte die Aufgabe, alles im Schlachthof zu überwachen. Gerade wenn die Tiere ankommen, sollten sie noch einmal untersucht werden. In der Realität sah es allerdings so aus, dass nur ein grober Blick auf die Tiere geworfen wurde, um zu sehen, ob die Tiere noch laufen können. Selbst wenn Tiere lahmten, wurde nichts dazu gesagt oder aufgeschrieben. Nur in den schwerwiegendsten Fällen wurde etwas notiert. Die Kontrolle durch die Amtstierärzte war für mein Empfinden sehr lasch, beispielsweise habe ich die leitenden Ärztin  nie hinten im Stall gesehen. Die Amtstierärztin füllte ihre Tabelle oft aus, und befand die Tiere somit für gesund und schlachttauglich, noch bevor sie sie überhaupt gesehen hatte. Nach dem Ausfüllen sah sie beim Ausladen zu. Meistens jedenfalls. Manchmal redete sie auch mit Kollegen und schaute gar nicht hin.

Wie gingen die Arbeiter mit den Tieren um? Hast du Verstöße gegen Tierschutzauflagen beobachtet?

Ich habe gesehen wie Tiere, die nicht mehr alleine den Transporter verlassen konnten, in den Schlachthof getragen wurden, was nicht erlaubt ist. Ich habe gesehen, wie Schweine mit Schlägen und Tritten hineingetrieben wurden, dass Tiere, die nicht mehr aufstehen konnten geschlagen wurden, sogar ins Gesicht, während die Amtstierärztin daneben stand und nichts dagegen getan hat. Als ich diese Verstöße angesprochen habe, wurde das abgetan und das Thema gewechselt. Bei den Schweinen ging es sehr brutal zu. Die Tiere wurden mit Hartplastikstöcken getrieben, auf den Hintern und ins Gesicht geschlagen, sogar auf die empfindliche Nase. Teilweise wurden sie auch getreten. Das Problem ist, dass die Tiere in großen Gruppen von 20 bis 30 Tieren abgeladen werden, und dass auf die hinteren eingeprügelt wird, weil es vorne nicht weiter geht. Allerdings können die Tiere in diesem Gedränge nicht schneller laufen. Bei den Rindern habe ich beobachtet, dass elektrische Treibhilfen verwendet wurden. Diese wurden auch bei jungen Tieren und im Kopfbereich eingesetzt, was eigentlich verboten ist.

Was ist  mit Bio-Tieren? Gab es einen Unterschied?

Nein. Bio-Tiere und Nicht-Bio-Tiere werden alle gleich behandelt. Alle werden auf dieselbe Weise hineingetrieben und geschlachtet.

Wie hast du dich deinen Kollegen gegenüber verhalten? Hast du dich als Tierschützerin geoutet?

Prinzipiell habe ich mich sehr zurückhaltend verhalten. Mir war die ganze Situation sehr unangenehm, deshalb wollte ich den Gesprächskontakt mit den Leuten eher vermeiden.

Welchen physischen und psychischen Belastungen warst du ausgesetzt? Wie hast du dich während der Arbeit gefühlt?

Für mich war es einfach die Hölle, anders kann man es nicht beschreiben. Ich habe sehr viel geweint und mich zurückgezogen. Ich konnte das überhaupt nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, und habe mich immer gefragt wie die anderen diese Arbeit überhaupt machen können. Die psychische Belastung war enorm hoch.

Wie haben die Erfahrungen aus dem Praktikum deine Einstellung zum Thema Tiere essen beeinflusst? Wie bewertest du diese Zeit rückblickend?

Ich lebe vegan, und meine Erfahrungen während des Praktikums haben meine Ansichten nur gefestigt. Ich habe gemerkt, dass es den Leuten, mit denen ich meine Erfahrungen geteilt habe, nahe gegangen ist, und dass ich sie zum Nachdenken angeregt habe. Ich freue mich darüber, wenn Leute sagen, dass es ihnen etwas gebracht hat, von meinen Erlebnissen zu erfahren. Dieses Praktikum war das Schlimmste, was ich je durchmachen musste. Ich wünsche diese Erfahrungen keinem. Weder Tier, noch Mensch.

Nachtrag zum Schlachthof-Interview

Dieses Interview haben wir erstmals im Jahr 2011 veröffentlicht. »Christina« hatte sich nach ihrem Praktikum an den Amtstierarzt, das Veterinäramt, die Tierärztekammer und das Landesministerium gewendet, um die Missstände im Schlachthof zu melden - ohne Resultate.

In der Zwischenzeit hat Hilal Sezgin die Bundestierärztekammer angeschrieben und um Auskunft zu o.g. Themen gebeten. Sie erhielt folgende Antwort: »[Die Arbeit im Schlachthof] schreckte niemanden ab, jedenfalls ist uns niemand bekannt, und die Bundestierärztekammer hat meines Wissens noch nie eine Beschwerde deswegen erhalten… Selbst Vegetarier … haben damit unseres Wissens keine Probleme.«

Hier scheint etwas mit der Kommunikation nicht zu funktionieren, denn nicht nur »Christina« hat Missstände festgestellt. Hilal Sezgin ergänzt: »Sogar M. [ein ihr bekannter Veterinär], der nachweislich kein Vegetarier ist, erzählt Horrorstories aus seiner Ausbildungszeit im Schlachthof.«

Waren Sie in einem Schlachthof?

Falls Sie für Ihre Ausbildung oder beruflich in einem Schlachthaus gearbeitet haben und darüber berichten möchten, nehmen Sie bitte Kontakt zu uns auf. Hinweise behandeln wir auf Wunsch vertraulich.

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